# | 注譯者 | 章第 | 經文 |
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1 | Victor von Strauss 1870 | 11 | 11 Gebrauch des Nicht-Seins Dreißig Speichen treffen auf eine Nabe: Gemäß ihrem Nicht-sein ist des Wagens Gebrauch. Man erweicht Ton, um ein Gefäß zu machen: Gemäß seinem Nicht-sein ist des Gefäßes Gebrauch. Man bricht Tür und Fenster aus, um ein Haus zu machen: Gemäß ihrem Nicht-sein ist des Hauses Gebrauch. Darum: Das Sein bewirkt den Nutzen, Das Nicht-sein bewirkt den Gebrauch. |
2 | Victor von Strauss 1870 | 12 | 12 Bändigung der Begierden Die fünf Farben machen des Menschen Äug' blind, Die fünf Töne machen des Menschen Ohr taub, Die fünf Geschmäcke machen des Menschen Mund stumpf, Pferderennen und Feldjagd machen des Menschen dumpf, Schätze, schwer erreichbar, machen des Menschen Wandel krumm.» Deshalb: «Des Heiligen Tun ist seine Brust, Nicht Augenlust.» Darum läßt er jenes und ergreift dieses. |
3 | Victor von Strauss 1870 | 13 | 13 Überdrüssig der Demütigung Gnade und Ungnade ist wie eine Furcht, Würde eine so große Plage wie der Körper. Was heißt: Gnade und Ungnade ist wie eine Furcht ? Gnade erniedrigt: Sie erlangen, ist wie eine Furcht, sie verlieren, ist wie eine Furcht. Das heißt: Gnade und Ungnade ist wie eine Furcht. Was heißt: Würde ist eine so große Plage wie der Körper ? Ich habe deshalb große Plage, weil ich einen Körper habe. Bin ich erst ohne Körper, welche Plage habe ich? Darum: Wer an Würde das Reich dem Körper gleichachtet, dem kann man das Reich anheimstellen. Wer an Liebe das Reich dem Körper gleichachtet, dem kann man das Reich anvertrauen. |
4 | Victor von Strauss 1870 | 14 | 14 Bezeugung des Tiefen Man schaut danach und sieht es nicht, sein Name ist: Ji (gleich), Man horcht danach und hört es nicht, sein Name ist: Hi (wenig), Man faßt danach und greift es nicht, sein Name ist: Weh (fein). Diese Drei können nicht ausgeforscht werden, darum werden sie verbunden und sind Eins. Sein Oberes ist nicht klar, sein Unteres ist nicht dunkel. Je und je ist es unnennbar und wendet sich zurück ins Nicht-Wesen. Das heißt des Gestaltlosen Gestalt, des Bildlosen Bild. Das ist ganz unerfaßlich. Ihm entgegnend, sieht man nicht sein Haupt, ihm nachfolgend, sieht man nicht seine Rückseite. Hält man sich an das Tao des Altertums, um das Sein der Gegenwart zu beherrschen, so kann man des Altertums Anfänge erkennen: Das heißt Gewebsfaden des Tao. |
5 | Victor von Strauss 1870 | 15 | 15 Enthüllung der Tugend Die Guten des Altertums, die Meister geworden, waren fein, geistig und tief eindringend. Verborgen, konnten sie nicht erkannt werden. Weil sie nicht erkannt werden können, so mühe ich mich, sie kenntlich zu machen. Behutsam waren sie, wie wer im Winter einen Fluß überschreitet, vorsichtig, wie wer alle Nachbarn fürchtet, zurückhaltend wie ein Gast, zergehend wie Eis, das schmelzen will, einfach wie Rohholz, leer wie ein Tal, undurchsichtig wie getrübtes Wasser. Wer kann das Trübe, indem er es stillt, allmählich klären ? Wer kann die Ruhe, indem er sie bewegt, allmählich beleben ? Wer dieses Tao festhält, wünscht nicht gefüllt zu sein. Ist er nicht gefüllt, so kann er mangelhaft sein und nicht neu vollendet. |
6 | Victor von Strauss 1870 | 16 | 16 Rückkehr zum Ursprung Wer der Entäußerung Gipfel erreicht hat, bewahrt unerschütterliche Ruhe. Alle Wesen miteinander treten hervor, und ich sehe sie wieder zurückgehen. Wenn die Wesen sich entwickelt haben, kehrt jedes zurück in seinen Ursprung. Zurückgekehrt in den Ursprung, heißt: Ruhe. Ruhe heißt: Zurückkehren zur Bestimmu Zurückkehren zur Bestimmung, heißt: Ewig-sein. Das Ewige erkennen, heißt: Erleuchtet-sein. Das Ewige nicht erkennen, macht verderbt und unglücklich. Wer das Ewige erkennt, ist umfassend - umfassend, daher gerecht, - gerecht, daher kömglich, - königlich, daher himmlisch, - himmlisch, daher in Tao, - in Tao, daher fortdauernd. Er büßt den Körper ein ohne Gefahr. |
7 | Victor von Strauss 1870 | 17 | 17 Reinhaltung des Brauchs Von den großen Herrschern wußten die Untertanen kaum, daß sie da waren. Deren Nachfolger liebten und lobten sie. Deren Nachfolger fürchteten sie. Deren Nachfolger verachteten sie. Vertraut man nicht genug, erhält man kein Vertrauen. Wie vorsichtig waren ihre kostbaren Worte! Verdienstliches wurde vollendet, Werke vollbracht, und alle hundert Geschlechter sagten: Wir sind frei. |
8 | Victor von Strauss 1870 | 18 | 18 Verwässerung der Sitten Wird das große Tao verlassen, gibt es Menschenliebe und Gerechtigkeit. Kommen Klugheit und Gewandtheit auf, gibt es große Heuchelei. Sind die sechs Blutsverwandten uneinig, gibt es Kindespflicht und Elternliebe. Sind Land und Sippen in Verfall und Zerrüttung, gibt es treue Staatsdiener. |
9 | Victor von Strauss 1870 | 19 | 19 Rückkehr zur Reinhaltung Laßt fahren die Heiligkeit, gebt auf die Klugheit!, und des Volkes Wohl wird sich verhundertfachen. Laßt fahren die Menschenliebe, gebt auf die Gerechtigkeit!, und das Volk wird zurückkehren zu Kindespflicht und Elternliebe. Laßt fahren die Geschicktheit, gebt auf den Gewinn!, und Diebe und Räuber wird es nicht geben. In diesen Drei - «Nimmt man den Schein nicht als genügend an, Drum soll man haben, dran man halten kann; Man zeige Lauterkeit, ziehe Einfalt an, Sein Eignes mindre, wenig wünsche man.» |
10 | Victor von Strauss 1870 | 20 | 20 Anders als die Menge Wer das Lernen aufgibt, hat keinen Kummer. «Ja» und «Jawohl», wie wenig unterscheiden sie sich! Gut und Böse, wie sehr unterscheiden sie sich! Was die Menschen fürchten, kann man nicht nicht-fürchten. Die Verfinsterung, o daß sie noch nicht aufhört! Die Menschen strahlen vor Lust, wie bei der Feier großer Feste, wie bei Ersteigen von Anhöhen im Frühling: Ich allein liege still, noch ohne Anzeichen, wie ein Kindlein, das noch nicht lächelt. Ich lasse mich treiben wie einer ohne Heimstätte. Die Menschen haben alle Überfluß: Ich allein bin wie ausgeleert. Oh, ich habe eines Toren Herz!, ich bin so verwirrt! Die gewöhnlichen Menschen sind sehr erleuchtet: Ich allein bin wie verfinstert. Die gewöhnlichen Menschen sind sehr geläutert: Ich allein bin ganz trübe. Flutend wie das Meer, umhergetrieben ohne Aufenthalt. Die Menschen sind alle brauchbar. Ich allein bin schwerfällig und ungeschickt. Ich allein bin anders als die Menschen, aber ich ehre die nährende Mutter. |
11 | Victor von Strauss 1870 | 21 | 21 Herz der Leere Der leeren Tugend Inhalt, nur Tao folgt er nach. Tao ist Wesen, aber unfaßlich, aber unbegreiflich. Unbegreiflich, unfaßlich!, in ihm sind die Bilder. Unfaßlich, unbegreiflich!, in ihm sind die Wesen. Unergründlich, dunkel!, in ihm ist der Geist. Sein Geist ist höchst wahr, in ihm ist Treue. Von alters her bis jetzt verging sein Name nicht, weil es aller Dinge Anfang bewirkt. Woher weiß ich, daß aller Dinge Anfang so ist ? Durch dieses. |
12 | Victor von Strauss 1870 | 22 | 22 Füllung der Bescheidenheit Was krumm, werde vollkommen, Was ungleich, werde gerade, Was vertieft, werde gefüllt, Was zerrissen, werde neu, Wenn wenig, werde erreicht, Wenn viel, werde verfehlt. Daher: Der heilige Mensch umfaßt das Eine und wird der Welt Vorbild. Nicht sich sieht er an, darum leuchtet er. Nicht sich ist er recht, darum zeichnet er sich aus. Nicht sich rühmt er, darum hat er Verdienst. Nicht sich erhebt er, darum ragt er hervor. - Weil er nicht streitet, darum kann keiner in der Welt mit ihm streiten. Was die Alten sagten: «Was krumm, werde vollkommen», sind es denn leere Worte? Ein wahrhaft Vollkommener, und man kehrt dahin zurück. |
13 | Victor von Strauss 1870 | 23 | 23 Leere und Nichtsein Wenig reden ist naturgemäß. Wirbelwind währt keinen Morgen, Platzregen währt keinen Tag. Wer macht diese ? Himmel und Erde. Himmel und Erde sogar können nicht dauern, wieviel weniger denn der Mensch! Darum: Wessen Tun mit Tao übereinstimmt, wird eins mit Tao. Der Tugendsame wird eins mit der Tugend, Der Verderbte wird eins mit der Verderbnis. Wer eins wird mit Tao, auch Tao freut es, ihn zu bekommen. Wer eins wird mit der Tugend, auch die Tugend freut es, ihn zu bekommen. Wer eins wird mit der Verderbnis, auch die Verderbnis freut es, ihn zu verderben. Vertraut man nicht genug, erhält man kein Vertrauen. |
14 | Victor von Strauss 1870 | 24 | 24 Bittere Neigung Wer sich auf die Zehen stellt, steht nicht fest. Wer die Beine spreizt, schreitet nicht fort. Wer sich ansieht, leuchtet nicht. Wer sich recht ist, zeichnet sich nicht aus. Wer sich rühmt, hat kein Verdienst. Wer sich erhebt, ragt nicht hervor. Sein Verhalten zu Tao ist wie Speiseüberrest, wie schwülstiges Gebaren; jeder verabscheut es. Darum: Wer Tao hat, hält es nicht so. |
15 | Victor von Strauss 1870 | 25 | 25 Das Tiefe im Abbild Es gibt ein Wesen, unbegreiflich, vollkommen, vor Himmel und Erde entstanden. So still!, so gestaltlos! Es allein beharrt und wandelt sich nicht. Durch alles geht es und gefährdet sich nicht. Man kann es ansehen als der Welt Mutter. Ich kenne nicht seinen Namen. Bezeichne ich es, nenne ich es: Tao. Bemüht, ihm einen Namen zu geben, nenne ich es: Groß. Als groß nenne ich es: Fortgehen, Als fortgehen nenne ich es: Entfernt, Als entfernt nenne ich es: Zurückkehren. Denn Tao ist groß, der Himmel ist groß, die Erde ist groß, der König ist auch groß. In der Welt gibt es vier Große, und der König ist von ihnen einer. Des Menschen Richtmaß ist die Erde, der Erde Richtmaß ist der Himmel, des Himmels Richtmaß ist Tao, Taos Richtmaß ist sein Selbst. |
16 | Victor von Strauss 1870 | 26 | 26 Tugend des Schweren Das Schwere ist des Leichten Wurzel. Das Ruhige ist des Unruhigen Herr. Daher: Der heilige Mensch wandelt den ganzen Tag, ohne von ruhigem Ernst zu weichen. Hat er auch prächtige Gebäude, gelassen bewohnt er sie und verläßt sie ebenso. Wie aber, wenn der Gebieter der zehntausend Streitwagen um seiner selbst willen leicht nimmt das Reich? Nimmt er es leicht, so verliert er die Vasallen. Ist er unruhig, so verliert er die Herrschaft. |
17 | Victor von Strauss 1870 | 27 | 27 Anwendung der Geschicklichkeit Ein guter Wanderer läßt nicht Fußspurmäler, Ein guter Sprecher macht nicht Redefehler, Ein guter Rechner braucht nicht Rechenzähler, Ein guter Schließer braucht nicht Schloß noch Riegel, und dennoch ist nicht aufzulüpfen, Ein guter Binder braucht nicht Schling’ noch Knoten, und dennoch ist nicht aufzuknüpfen. » Daher: Der heilige Mensch ist stets ein guter Helfer der Menschen, darum verläßt er keinen Menschen, ist stets ein guter Helfer der Geschöpfe, darum verläßt er kein Geschöpf.« Das heißt zweifach leuchten. Darum ist der gute Mensch des nichtguten Menschen Erzieher, der nichtgute Mensch des guten Menschen Schatz. Nicht ehren seinen Erzieher, nicht lieben seinen Schatz, ist trotz aller Klugheit große Verblendung. Das heißt bedeutsam und geistig. |
18 | Victor von Strauss 1870 | 28 | 28 Rückkehr zur Einfalt Wer seine Mannheit kennt, an seiner Weibheit hält, Der ist das Strombett aller Welt. Ist er das Strombett aller Welt, Die stete Tugend nicht entfällt, Und wieder kehrt er ein zur ersten Kindheit. Wer seine Helle kennt, sich in sein Dunkel hüllt, Ist aller Welt ein Musterbild. Ist er der Welt ein Musterbild, Die stete Tugend bleibt sein Schild, Und wieder kehrt er ein ins Unbefangene. Wer seine Hoheit kennt und hält Erniedrigung, Ist aller Welt Tal-Niederung. Ist er der Welt Tal-Niederung, Dann steter Tugend ist's genug, Und wieder kehrt er ein zur ersten Einfalt. Wird die Einfalt zerstört, dann wird sie Brauchbares. Wendet der heilige Mensch sie an, dann wird er der Beamten Herr. Denn große Herrschaft verletzt nicht. |
19 | Victor von Strauss 1870 | 29 | 29 Nicht-Tun Wer trachten wollte, das Reich zu nehmen und es zu machen, ich sehe, daß es ihm nicht gelingt. Das Reich ist ein geistiges Gefäß, es kann nicht gemacht werden. Der Macher zerstört es, der Nehmer verliert es. Denn ein Wesen: «bald geht es vor, bald folgt es nach, bald atmet es warm, bald kalt darein, bald wird es stark, bald wird es schwach, bald steigt es auf, bald stürzt es ein.» Daher: Der heilige Mensch meidet das Übersteigen, meidet die Überhebung, meidet das Überragen. |
20 | Victor von Strauss 1870 | 30 | 30 Maßhaltung des Kriegs Wer mit Tao dem Menschenherrscher beisteht, vergewaltigt nicht mit Waffen das Reich. Sein Verfahren liebt zurückzukehren. Wo Heerhaufen lagern, gehen Disteln und Dornen auf. Großer Kriegszüge Folge sind sicherlich Notjahre Der Gute siegt, und damit genug. Er wagt nicht, zur Vergewaltigung zu greifen. Er siegt und ist nicht stolz, er siegt und triumphiert nicht, er siegt und überhebt sich nicht, er siegt, wenn er es nicht vermeiden kann, er siegt und vergewaltigt nicht. «Was stark geworden ist, ergreist, und das ist, was man Tao-los heißt; was Tao-los ist, das endet früh.» |